Samstag, 25. Juli 2009

Tamale. Die Stadt ist laut und dreckig, aechzt, stoehnt und schreit vor Ueberdruss an allem, was sie praegt. Es ist schwer zu begreifen: was macht Ghanas vielleicht haesslichste Stadt Tamale zu dem, was sie ist? Seitdem ich hier bin faellt mir das Atmen schwer, Dreck verstopft meine Nase. Der Staub bedeckt meine Haut und Schweiss treibt ihn wieder herab. Bei ungewohnter Hitze jeden Tag anderthalb Stunden Fahrrad zu fahren, 45 Minuten hin und wieder zurueck, waere zuhause eine Zumutung. Addiert man noch ein paar Minuten, kommt man bei der Zeit aus, die ich per Rad benoetigen wuerde um von meinem Elternhaus zu meiner Kunstakademie zu kommen- hier faellt die Ferne nicht so ins Gewicht. Vielleicht weil Zeit hier ebenfalls nicht so wichtig ist, doch selbst das ist noch untertrieben.
Ich warte, das ist hier Teil meiner Arbeit oder dessen, was man hier Arbeit nennt. Wenn ich jetzt erwaehne, dass ich ein journalistisches Praktikum bei einem Radiosender mache, sollte sich der normale Menschenverstand einschalten und fragen, wie das sein kann- Langeweile in der Newsbranche? Die Antwort: Pressefreiheit existiert hier nicht. Sie berichten ueber Scheidungen wegen Flatulenz des Ehemannes, Themen wie Rassismus und Diskriminierung zum Beispiel gegen Homosexualitaet werden totgeschwiegen. Es wird einfach behauptet, dass es das nicht gibt. Sowieso gibt es hier keine Kriminalitaet, das sagen die Menschen ausnahmslos wenn man sie nach ihrer Mentalitaet fragt. Ich sehe das anders, denn ich bin dank meiner Hautfarbe Teil einer Minderheit in diesem Land und bekomme die Engstirnigkeit der Menschen beinahe jeden Tag zu spueren. Die Engstirnigkeit hat sich in die Gehirne der Menschen gebrannt, weil der weisse Mann den Eingeborenen ihr Gold geklaut hat- damals im 17. Jahrhundert. Kann man das den Menschen uebel nehmen?

Fragt man die Menschen hier, nach besagter Mentalitaet, hoert man stets das Gleiche: "Ghanesen sind freundlich, hilfsbereit und friedlich." Sie sind besonders stolz auf ihre Gastfreundschaft. Nur Paul, mein bester Freund hier, ist ehrlich. "Ghanesen sind unglaublich faul und groesstenteils unfreundlich wie die Nacht." Auch hier gibt es Ausnahmen, das ist klar und natuerlich stimmt es, sie sind zu jeder Hilfe bereit. Gleichzeitig aber erwarten sie (da sie jede weisse Person fuer stinkreich halten) auch eine Gegenleistung, wenn sie wissen das du nicht am Hungertuch nagst. Da wird Geld natuerlich gern gesehen. Willst du deinen Charakter ruinieren, dann begib dich fuer laengere Zeit in dieses Land und aus deinem gesunden Misstrauen wird hier schnell was ich als Korruption und Falschheit empfinde. Wer in diesem Land nicht arm ist und aus Stolz nicht nach Geld fragt oder zu faul ist, sich bezahlte Arbeit (ungleich der normalen Untaetigkeit) zu suchen, der hortet seinen Reichtum. Aber geteilt wird in diesem Fall nicht.

Mein Eindruck: Dazu holen sie die Weissen hier her, die Freiwilligenarbeit verrichten oder andere Hilfsprojekte unterstuetzen. Das ist ihre Art um die Korruption zu verdecken und die Weissen, die koennen arbeiten und raeumen fuer die Zeit, in der sie da sind auch mal ordentlich auf. Oder auch nicht. Kommt halt drauf an.

Freundschaften zwischen Ghanesen scheinen auf den ersten Blick erstrangig zu sein, aber auf den zweiten Blick existiert das Wort nicht einmal, schliesslich hat doch jeder erst einmal fuer sich zu sorgen.
Auch hier ist die weisse Hautfarbe wieder interessant, denn mit einer oder einem Weissen will jeder bedreundet sein oder sogar heiraten. Die Anzahl an Heiratsantraegen, die ich hier bekommen habe, ist nicht mehr zaehlbar.

Die Stadt stinkt. Sie zerbricht unter ihrer Last aus Muell, Intoleranz, Verlogenheit. Jemand erzaehlte mir, Tamale sei eine sehr saubere Stadt. Ich sehe das nicht so. Ueberall wird produziert, doch nichts recycled. Risse zieren das Fundament auf dem sie steht und ueberall scheint das Ueberreife aus dem Alten Spack ausbrechen zu wollen. Es platzt aus allen Naehten, doch nirgendwo scheint etwas Naehrendes heraus zu kommen. Nur Abfall.


Nach der Haelfte meiner Zeit hier und einer ganzen Menge Stimmungshoch- und -Tiefphasen versuche ich ein Resumee zu ziehen. Leider faellt dies nicht positiv aus, ich habe alles bedacht, durchdacht, ueberdacht, auf den Kopf gestellt, auf Herz und Nieren geprueft, verglichen und wieder umgedreht. Nach eingehender Pruefung auf alle Details stelle ich fest, dass die einmalige Chance, um aus dem heimischen Loch heraus zu kommen und etwas Neues auszuprobieren, mal etwas Spannendes zu erleben sozusagen Fruechte getragen hat. Ich weiss jetzt: There's no place like home.
Ich sehe mich nach einem Monat in einem fremden Land auf einem fremden Kontinent mit einem riesigen Brett vorm Kopf wieder.
Ich frage mich immer wieder ob ich es bin, oder die Fremden um mich herum, die verrueckt sind, denn hier laeuft eine ganze Menge schief.
Das Land ist so unerklaerlich korrupt und doch hat es seine positiven Eigenschaften, so wie alles eine Kehrseite hat.
Ghana ist ein sich entwickelndes Land, in dem es eine Menge kluger Menschen mit jeweils eigenen Identitaeten gibt. Diese Menschen haben die westliche Mentalitaet in sich und sind auf eine natuerliche Art und Weise individuell. Sie brauchen keine Statussymbole, um einander zu beweisen, wer sie sind. Hier zaehlen Charakter, Wissen und Stolz mehr als Outfit, Accessoires und andere Besitztuemer.
Weiterhin habe ich festgestellt, dass ich mit meinem Kunsttalent nicht einen Monat ueberleben wuerde, denn Kunst und Kultur spielen hier nur eine Rolle, wenn es um die Ghanesische Kultur geht. Quasi um die Gruppe, so wie es in der traditionellen Familie ebenfalls nicht um die Einzelperson geht. Ein Sack Reis ist hier wichtiger als Einzelpersonen und -Schicksale, denn dieser ernaehrt die ganze Gruppe.

3 Kommentare:

  1. Jeder, der mich kennt, sollte wissen, dass das alles andere als rassistisch gemeint ist. Von Morgen an bin ich fuer ein paar Tage in einer anderen Stadt und hoffe, dass ich dort bessere Erfahrungen sammeln werde. Was die Radiostation angeht, sind dort wirklich nur Bekloppte. Heute hat mich einer (taetlich) angegriffen und aus seinem Buero geschmissen, weil ich eine Steckdose benutzen wollte. Der Selbe uebrigens, der mich zur Sau gemacht hat, weil ich dort einen Computer benutzt habe. Nur Verrueckte hier in Tamale!

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  2. Bolgatanga ist wesentlich freundlicher, zuvorkommender und normaler. Allerdings sind die meisten Preise dort hoeher (unwesentlich). Auch die Landschaft ist 100% schoener!

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  3. Mach mir keine Angst, Verena. Es gibt für alles Gründe. Mach vor allem nicht den Fehler, alle Afrikaner über einen Haufen zu scheren. Aber ich glaub, da brauch ich mir keine Sorgen zu machen, oder??

    glg, Simon

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